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    (Spiegel) FC Söldner 04 (lang, aber lesenswert!)

    Aus dem neuen Spiegel von heute, Seite 202ff



    Elf Söldner müsst ihr sein


    Neue Millionenverträge wie der des Brasilianers Ailton stärken die Macht der Spieler in der hoch verschuldeten Bundesliga und treiben die Gehälter wieder nach oben. Besonders der Traditionsclub Schalke 04 profiliert sich als 'Meister der Kassen'.

    von Cord Schnibben


    Der Mann hat schlechte Laune. Eben mußte er durch den Bremer Bürgerpark laufen. Er läuft nicht gern ohne Ball. Jetzt nieselt es, ein kalter Wind treibet die Tropfen gegen die großen Glasflächen der VIP-Lounge im Weserstadion. Das sieht nach Winter aus, und den mag der brasilianische Fußballer nicht. Gestern hat die Mannschaft verloren, für die er in der nächsten Saison spielen soll, vorgestern hat die Mannschaft verloren, für die er im Moment spielt.

    Darum sitzt Ailton an diesem Montag im VIP Sessel, starrt auf den Strafraum, in dem er am Samstag das Tor nicht getroffen hat und murmelt: 'Katastrophe.' Eines dieser Wochenenden liegt hinter ihm, an dem er darüber nachgrübelte, warum sein Torinstinkt nicht funktioniert hat, und eine Woche liegt vor ihm, in der die Journalisten schreiben werden, sein Wechsel zu Schalke 04 sei Schuld daran. '00-Bock-Ailton' hat die BILD getitelt, sonst heißt er da '007-Ailton'.

    'Alles Scheiße', sagt er auf deutsch, und 'Blödsinn'. Auf portugiesisch schiebt er die Sätze hinterher, die jeder Fan gerne hört: Bis zum letzten Spieltag werde er für Bremen treffen, sich zerreißen und die Liebe zurückzahlen in Toren, all diese Sätze, die ein cleverer Fußballprofi so sagt.

    Ailton weiß, daß er im nächsten Spiel ein Tor machen sollte, sonst werden die Geschichten in den Zeitungen noch schriller klingen, und er sagt, daß ihm dieser Dreck nichts ausmache, den kenne er, den Druck habe er immer, aber er weiß, daß es schlecht ist für einen Torjäger, zu viel nachzudenken, zu viel zu wollen, zu viel beweisen zu müssen, das ist alles schlecht für das, was Ailtons Kunst ausmacht, dieser schnelle Sprint mit dem Ball am Fuß, so eng, daß kein Gegner dazwischen kommt, diese Körperbewegung, die dem Torwart keine Chance lässt, dieser harte Schuß, der den Ball lenkt, als wäre er ferngesteuert, dieses instinktive Ineinandergreifen von vielen Bewegungen, von dutzenden Sehnen, von tausenden Muskelfasern.

    Jeder Gedanke stört den Automatismus, und darum knirschen die Schlagzeilen wie Sand in der Tormaschine Ailton. Er wußte, daß diese Schlagzeilen kommen würden, aber was sollte er machen? 12 Millionen Euro in den nächsten 3 Jahren, warum sollte er das ablehnen? Weil Bremen eine schöne Stadt ist? Weil seine Mannschaft Deutscher Meister werden kann? Weil 10000ende Jungs sein Bild im Kinderzimmer hängen haben?

    Er ist ein Söldner. Er bekommt Geld dafür, andere Mannschaften abzuschießen, in den vergangenen Jahren habe er 'besonders gern Schalke' die Bälle reingehauen, sagt Ailton und lächelt dreckig, in den nächsten Jahren eben Werder. Er zuckt mit den Schultern, so läuft das Geschäft, so ist sein Leben. Seinen Verein in Brasilien mußte er verlassen, weil der seine Ablösesumme brauchte, den nächsten Verein in Mexiko hat er verlassen, weil er mehr Geld wollte, und das gab es in Europa, zufällig in Bremen, es hätte auch Athen, Glasgow oder gleich Gelsenkirchen sein können.

    Ailton ist immer dem Ruf des Geldes gefolgt, das hat ihn reich, berühmt ud glücklich gemacht, und jetzt geht er diesen Weg zu Ende. Den Trubel, den seine Logik auslöst, versteht er nicht. Während des Spiels gegen Stuttgart sah er sein Bild auf den Zuschauerrängen mitten in einem großen Dollarschein, darunter der Spruch: 'Geld macht unseren Sport kaputt'.

    Nach dem Spiel sprach der Stuttgarter Trainer Felix Magath von Bundesligamanagern, 'die mit Geld um sich werfen und dabei immer wieder Spieler treffen'. Er fürchtet seinen Jung-Nationalspieler Andreas Hinkel an Ailtons neuen Herrn zu verlieren. Auch in Hamburg, Kaiserslautern, Bochum und Freiburg zittern sie vor den Geldboten aus Gelsenkirchen.

    Mitten in einer schweren Finanzkrise des bezahlten Fußballs, in der die Vereine der 1. und 2. Liga Schulden in Höhe von 600 Millionen Euro angehäuft und viele Clubs ihren Profis das Gehalt gekürzt haben, startet der Arbeiterverein aus dem Ruhrpott eine Euro-Offensive, die Ailton und seinem Bremer Abwehrkollegen Mladen Krstajic die Gehälter verdoppelt hat und noch 4 weitere Spieler in die Schalke Arena locken soll.

    Seit die Millionensummen für Ailton und Krstajic in den Zeitungen stehen, fordern nicht nur bei Werder Bremen mittelprächtige Spieler wie Ivan Klasnic und Krisztian Lisztes mehr Geld, auch in Stuttgart und anderen Vereinen halten die Spieler die Hände auf. Noch im Juli hatter werders Trainer Thomas Schaaf konstatiert: 'Die Zeiten, wo Spieler eine Wahnsinnsmacht hatten, sind vorbei.'

    Doch die Schalker Großzügigkeit macht die Spieler wieder mächtiger und treibt die Preise im Moment nach oben. Werder wollte in die neuen Verträge mit Krstajic und Ailton eine Klausel schieben, die deren Gehälter im Falle sinkender TV-Einnahmen des Vereins ebenfalls sinken lassen sollte. Der Schalker Euro-Segen spült solche Sparansätze weg.

    'Wir sparen auch', entgegnet Schalke Manager Rudi Assauer seinen Kritikern, 'wir sparen Ablösesummen.' In den vergangenen 4 Jahren hat er mit 55 Millionen Euro Spieler aus anderen Vereinen herausgekauft, jetzt lockt er ablösefreie Spieler zu Schalke. Mit Ailton telefonierte er Anfang Oktober zweimal, der wollte ihn zunächst abwimmeln wegen der noch laufenden Vertragsgespräche mit Werder, aber Assauer machte dem Brasilianer Druck, traf sich mit ihm am Abend des Bundesligaspiels Bremen gegen Wolfsburg. Erst jubelte er mit seinen alten Freunden aus der Vereinsführung von Werder Bremen gemeinsam auf der Tribüne des Weserstadions über die beiden Ailton Tore beim 5:3 und 'die tolle Mannschaft, die ihr habt', dann brachte er im Maritim Hotel den Brasilianer innerhalb einer halben Stunde dazu, den Vertrag zu unterschreiben.

    Assauer sei ein 'entschlossener Mann', lobt Ailton, 'der wußte, was er wollte, das gefällt mir', nur seine Zigarre habe ihn gestört. Ohne mit Schalkes Trainer Jupp Heynckes geredet zu haben, ohne lange über seine neue Mannschaft zu sprechen, entschied Ailton, zukünftig Söldner von Assauer zu werden. Doch, sagt Ailton, sie hätten kurz über die Mannschaft geredet; 'Ich habe Assauer 3 Spieler genannt, die er noch kaufen soll', sagt er und schaut dabei kurz über die Schulter, ob jemand mithört im VIP Bereich des Weserstadions. Nur eine Putzfrau saugt die Reste des Samstagsspiels vom Teppichboden zwischen den plüschigen Sesseln.

    Mit dem Umbau dieser Tribüne des Weserstadions hat Assauers Managerkarriere 1976 angefangen, 5 Jahre modernisierte er das Stadion und die Mannschaft, diente dann 4 Monate lang Werder Bremen und Schalke 04 gleichzeitig als Manager, wechselte ins Ruhrgebiet, scheiterte 5 Jahre lang daran, den Arbeiterverein modern und siegreich zu machen, wurde gefeuert, kehrte 1993 zurück und arbeitet seither erfolgreich daran, sich unsterblich zu machen.

    Die im Jahr 2001 eingeweihte 'Arena auf Schalke', das ist nicht nur Assauers Werk, das ist nicht nur 'das modernste Stadion der Welt' und 'das Festspielhaus des deutschen Fußballs' (Assauer), das ist vor allem Schalkes Notenpresse. Hier wird das Geld gedruckt, mit dem Assauer die Ailtons der Liga zuwerfen kann.

    Wie viele Millionen Euro die Sponsoren und Zuschauer der Arena tatsächlich in die Kassen des Vereins schütten, wissen nur Schalkes Finanzjongleure, aber die sind so sehr von der Treue der Fans überzeugt, daß sie einen großen Teil der Ticketerlöse der nachsten 23 Jahre an einen Londoner Investmentbänker verpfändet haben, der ihnen dafür im April 85 Millionen Euro auf die Konten schob.

    Bisher war fast jedes Spiel in der 61000-Zuschauer-Arena ausverkauft, weil die den Leuten mehr bietet als Fußball. Sie bietet die Fröhlichkeit eines Bierzeltes, den Sound eines Rockkonzerts und die Inbrunst einer Gospelmesse, was nicht zuletzt an den 5 Kilometer langen Bierleitungen liegt, die überall im Stadion das frische Pils so fließen lassen, wie in einer Eckkneipe.

    Wie man Fußball inszeniert, davon versteht keiner in Deutschland mehr, als Assauer, und deshalb legt sich auch bei einem Untertagekick wie im letzten Heimspiel gegen den Vfl Bochum nie diese Trostlosigkeit auf die Zuschauerränge, die in anderen deutschen Stadien bei solchen Leistungen garantiert wäre. Als Stadionherr verkörpert Assauer die Zukunft des Fußballs, aber als Manager seiner Mannschaft hat er so wenig Erfolg, daß er nun hastig Topstars zusammenkaufen muß.

    36 Spieler aus 16 Ländern hat Schalke unter Vertrag (Bayern München hat 27), aber 3 Trainer (Huub Stevens, Frank Neubarth, Marc Wilmots) konnten in den vergangenen beiden Jahren nicht den großen Fußball in die Arena zaubern, und nun versucht der aus Spanien heimgekehrte Jupp Heynckes den FC Söldner 04 zu einer Mannschaft zu formen, die auch im UEFA-Cup Geld einspielen kann.

    Beim letzten Auftritt in der Arena verlor Schalke nicht nur 0:2 gegen Bochum, der Trainer machte auch durch Gesten klar, daß er kein Vertrauen zu seiner Mannschaft hat. Er sei getäuscht worden über den wahren Leistungsstand der Spieler, hatte er schon vorher in Interviews beklagt, nicht er sei verantwortlich für schlechte Leistungen und miese Ergebnisse, sondern jene, die diese Spieler zusammengekauft hätten. Sein Balett der Verachtung, aufgeführt an der Seitenlinie, krönte er mit vielsagenden Blicken zu Assauer: Sag ich doch, die können es nicht, kauf neue Leute, Rudi!

    Als wäre es ihr Ziel, den grandiosen Videowürfel über dem Spielfeld runterzuschießen, so bolzten die Schalker den Ball durch die Arena; Als säße Ailton dem Stürmer Victor Agali auf der Schulter, so trabte der Nigerianer über den Rasen; Als wollte er sich für jede Position in der Schalke Elf der nächsten Saison bewerben, so wild irrte Abwehrmann Tomasz Hajto übers Spielfeld. Nicht nur ihm - von Neuzugang Krstajic bedroht - merkte man an, daß die Schalker durch das Geschrei ihres Trainers nach neuen Spielern verunsichert sind.

    An Agali lassen die Fans ihre Enttäuschung aus. Für 10 Millionen Mark vor 2 Jahren geholt, ist der Torjäger - inzwischen 'Mister Chancentod' genannt - wohl das erste Opfer der neuen Einkaufsoffensive. Dem Mann fehle wegen seiner Körpergröße 'das Gefühl für Timing', kritisierte Heynckes nach dem Bochum Spiel. 'Was soll ich machen', stöhnte Assauer, 'soll ich dem die Beine absägen?'

    Die Fans von Schalke rebellieren bisher nur gegen einzelne Spieler, in Hamburg ('Schießbude') und Berlin ('Hertha BSE') zeigt sich die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der Distanz zwischen Fans und Trainer und Mannschaft. Die Geduld enttäuschter Zuschauer schrumpft, seit ihre Teams zusammengekaufte Söldnertruppen geworden sind; nicht mehr die Treue zum selben Verein verbindet Spieler und Fans, sondern eine Geschäftsbeziehung: Ich zahle, Du lieferst Unterhaltung, langweile mich nicht und erwarte kein Mitleid, wenn ihr verliert.

    Für ihr Geld wollen die Fans Siege und Tore sehen, vor allem aber wollen sie, daß ihre Mannschaft ihnen 34 Spieltage lang eine Geschichte erzählt, die Geschichte der jungen Himmelsstürmer (Stuttgart) oder die Geschichte der Auferstehung (Leverkusen) oder die Geschichte des Ostens (Rostock).

    Mannschaften ohne Geschichte sind seelenlose Banden von Männern in kurzen Hosen, und Schalke 04 ist so ein Haufen, der Club erzählt samstags keine Geschichte mehr. Aus dem 'Meister der Herzen', dem nur 4 Minuten fehlten, um Deutscher Meister zu werden, ist der 'Meister der Kassen' geworden, das richtungsweisende Symbol für 'neue Maßstäbe in der Fußball- und Unterhaltungsindustrie' (Assauer).

    Werder Bremen erzählt in jeder Saison die Geschichte vom armen, kleinen Verein, der seine Mannschaft mit List und Fürsorge groß und stark macht, bis die Besten - Völler, Riedle, Trainer Rehhagel, Herzog, Basler, Pizarro, Rost, Frings - dem Schrei des Geldes folgen. Seit der französische Großverdiener Johan Micoud von Parma nach Bremen wechselte, wähnen sich die Bremer auf der Sonnenseite des Weltfußballs, Ailton hat sie erinnert an ihr Schattendasein.

    Ihn zu halten war nicht möglich, schon gar nicht mit einem Wort wie 'Gehaltsgefüge'. Die Bremer Fans trifft sein Wechsel, weil Ailton ihnen seit 5 Jahren eine schöne Geschichte erzählt, die Geschichte vom großen Kind auf dem Fußballplatz, das immer im Abseits steht, immer zu spät aus der Winterpause kommt und immer wieder das Tor trifft.

    Am Anfang haben sie ihn verspottet in Bremen, zu dick sei er, der größte Flop der Vereinsgeschichte, er schlief im Hotel und saß samstags auf der Tribüne, nur durch seine Tore wurde er 'Toni'. Sein Leben? Autos angucken, Kleider kaufen, zu Hause sitzen, in seinem Wohnzimmer standen nur eine Couch und ein Großbildfernseher. Warten auf die Winterpause, nach Brasilien fliegen, in der Hängematte liegen, seine Geschwister sehen, einfache Leute.

    Seit 3 Wochen ist Ailton der große Star, der deutsche Fußball drehte sich ein paar Tage lang um ihn, sein Talent wurde endlich in Millionen aufgewogen, diese angeborene gabe, 'Sekundenbruchteile lang nicht zu denken, sondern meinen Körper den Job machen zu lassen'. Über seine nächste Heimatstadt Gelsenkirchen hat er 'nur schreckliche Dinge gehört', aber im Stadion dort habe man das Gefühl, in Madrid, Mailand oder London zu spielen. Und Dortmund ist nicht weit, da sind Dede, Amoroso und die anderen Brasilianer zu Hause.

    Der Regen wird heftiger, er klatscht gegen die großen Glasflächen der VIP-Lounge im Weserstadion, Ailton starrt wieder auf den Strafraum, in dem er am Samstag das Tor nicht getroffen hat. Er will die Schlagzeilen der Journalisten abschießen, er will ihnen die Geschichte kaputtmachen vom Torjäger, der nur ums Geld kämpft, er will treffen, er will das Torgefühl spüren. Wie ist das? Das sei jedes mal das Gefühl, sagt Ailton, 'das ich als Kind hatte, als ich mein erstes Geschenk bekam'.




    Lisa-M.
    Datt is Schalke!
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