So, nachdem die Ergebnisse im Groben vorliegen, kann man wohl ein paar erste Urteile wagen. Sorry, ich bin nicht gut darin, mich kurz zu fassen, aber das muss ja niemand lesen, es geht nur darum eine Nachbetrachtung zu machen.
Wenn ich es richtig sehe, dann gab es Dienstagnacht auf der Welt, in meinem Umfeld, hier im Forum und zugegebenermaßen auch bei mir ordentliche Irritationen, weil die tatsächlichen Ergebnisse von den Umfragen so stark abgewichen sind. Was heißt das jetzt? Immer auf den Underdog gehen? Umfragen alle Unsinn? Andere Indikatoren nehmen?
Erst einmal: die Umfragen lagen daneben, aber sie lagen viel weniger daneben, als man am Anfang denken konnte.
Joe Biden hat gewonnen. Und genau das war die Vorhersage. Nate Silver hat ihm eine 90%-Chance gegeben, und auch wenn ich mich nicht (allein) auf den verlassen habe, muss man sagen, er hat eben recht gehabt. Biden hat auch die popular vote gewonnen, und zwar mit einem ordentlichen Abstand was die absoluten Zahlen angeht. Am Ende wird es wohl darauf hinauslaufen, dass Biden bei 306 Electoral Votes landet, das ist irgendwo zwischen knapp und okay. Ich habe auch nie auf EVs getippt übrigens, habe Trump aber weniger in der Popular Vote gegeben, s.o.
Wenn man das staatenweise durchgeht, dann haben die Polls vor allem in Florida daneben gelegen, mit Abstrichen auch in Ohio und Iowa. Arizona, Nevada und den mittleren Westen (und alle anderen Staaten) hatten die meisten Pollsters aber in der Tendenz richtig, allerdings meistens nicht in der Marge (zum Teil auf den Punkt richtig, aber meistens nicht). Georgia und North Carolina haben die meisten als Toss Ups gesehen, und das erleben wir gerade, weil da immer noch kein Sieger feststeht. Das ist auch übrigens keine Sache, die sich darauf zurückführen ließe, dass die Pollsters parteiisch wären. Auch und gerade die Pollster haben falsch gelegen, die von den Leuten angeführt werden, die hier im Forum so besonders engagiert diskutieren. Trafalgar, Rasmussen, Pulse, alle bekannt für ihre Nähe zu den Republikanern haben zumeist Michigan, Arizona, Pennsylvania, Georgia falsch zugeordnet. Es gibt also nicht die einen Institute, die immer richtig lagen, und die anderen, die immer falsch waren.
Unter dem Strich hat man mit Polls also richtiger gelegen als mit Würfeln oder Pfeile werfen. Was man ja aber schlicht nicht übersehen kann, ist, dass Trumps Stimmenanteil systematisch unterschätzt wurde. Der Real-Clear-Average lag für die popular vote bei 51,2 zu 44, gegenwärtiger Zwischenstand ist 50,5 zu 47,7. Das dürfte im Laufe der Auszählung für Biden noch ein paar Zehntel hoch und für Trump ein paar Zehntel runter gehen, aber es bleibt ja der Befund, dass die Anteile für Biden relativ gut und die für Trump 3-4% zu niedrig geschätzt wurden – und das gilt mit Abweichungen hie und da fast durchgehend auch auf Staatenebene. Übrigens kleine Nebenbemerkung: Jadonsancho, falls Du hier noch mitliest, ja, Du vermutest richtig, ich habe tatsächlich irgendwannmal irgendwas studiert, aber entgegen Deiner Vermutung dabei auch mal eine Statistikvorlesung gehört. Die in einer Befragung ermittelten Prozentwerte sind ganz normale metrische, in dem Fall ratioskalierte Daten. Und deshalb ist es auch mathematisch vollkommen zulässig die zu mitteln. Und selbst wenn das anders wäre, bliebe es ja eine spannende Information, mehrere Umfragen auf einen Wert zu verdichten.
Wie ist das jetzt zu erklären, dass die Umfragen, so ähnlich wie schon 2016 relativ stark daneben gelegen haben, auch wenn das meistens noch halbwegs innerhalb der Fehlertoleranz liegen dürfte? Das wird ziemlich sicher in den nächsten Wochen, Monaten, Jahren von schlaueren Menschen sehr intensiv diskutiert werden, immerhin hängt die Glaubwürdigkeit und letztlich das wirtschaftliche Überleben der Institute daran, dass sie da eine überzeugende Antwort geben können. Das warte ich mal ab, aber meine paar Cent zum jetzigen Zeitpunkt:
a) Die Umfragen hatten Schwierigkeiten die Dynamik abzubilden. In den Exit-Polls zeigt sich, dass die Late Deciders überwiegend zu Trump geschwenkt sind. Das war bestimmt ein Faktor, erklärt das Phänomen aber nicht in einem Ausmaß wie 2016, meiner Meinung nach.
b) Immer noch bzw. erneut falsche Modelle was die Stichprobenzusammensetzungen angeht? Kann ich so nicht beurteilen, wird man sicher diskutieren.
c) Antwortverweigerungen? Das scheint mir im Augenblick der heißeste Kandidat. Vor ein paar Tagen habe ich da noch gegenargumentiert, als Jadonsancho dieses Argument angebracht, einer von acht Trumpleuten würde sich an Befragungen nicht beteiligen. Mir ist tatsächlich nicht klar, was das bringen soll. Aber da scheint es wohl inzwischen eine grundlegende Skepsis gegenüber allem zu geben, was nicht unmittelbar aus dem eigenen Lager kommt, der Deep State, der Staat, die Medien, was weiß ich. Man muss tatsächlich zur Kenntnis nehmen, dass sich Leute innerhalb relativ kurzer Zeit anscheinend vollkommen von der Realität abzukoppeln. Sieht man ja zum Teil auch bei uns, wo der Wahnsinn ja auch nicht immer nur leise lächelt.
d) Ganz generell scheint ja gerade bei Wahlen mit Trump-Beteiligung der Wurm drin zu sein. 2016 und nun 2020 waren schwache Jahre für die Pollster, 2018 bei den Midterms haben die aber im Großen und Ganzen ganz gut gelegen. Tatsächlich war ich geneigt, den Trump-Siegt sozusagen als Betriebsunfall zu sehen, eine Kette sehr unglücklicher Umstände in einem historisch kuriosen Umfeld, wo dann so eine schräge Figur haarscharf mit 77.000 Stimmen gewinnen konnte. Und diese Haltung schien sich ja zu bestätigen, indem Trump in seinen Zustimmungswerten immer unterirdisch war und vor allem durch die Midterm-Ergebnisse, wo die Demokaten einen Riesen-Erfolg im Repräsentantenhaus hatten, durchaus eine blaue Welle. Das habe nicht nur ich so interpretiert, dass das noch heftiger wird wenn Trump selbst auf dem Wahlzettel steht. Und das Gegenteil ist eingetreten. Mit Trump auf dem Zettel haben die Republikaner viel besser abgeschnitten als 2018 und vor allem, er hat auch das House, den Senat und die Downballot-Wahlen mitgezogen. Senatswahlen die knapp oder zumindest kompetetiv hätten sein sollen, waren es nicht, wie in Maine, Iowa, South Carolina, Kentucky. Woran das liegt? Keine Ahnung. Entweder es liegt unmittelbar an Trump oder es hat sich in den letzten zwei Jahren etwas verändert, die Leute haben sich radikalisiert, noch weiter von der realen Welt gelöst oder es hat schlicht eine solche Gewöhnung an Trump stattgefunden, dass die diese permanente Grenzüberschreitung gar nicht mehr so wahrgenommen haben.
e) Im Augenblick stehen ja noch die Anschuldigungen vonseiten des Trump-Lagers im Vordergrund, bislang völlig ohne Bestätigung. Aber in ein paar Tagen wäre das schon sehr interessant, mal unabhängige Einschätzungen zu bekommen, wie viele Biden-Stimmen denn im Rahmen dieser ganzen Trump-Schweinereien weggefallen sind. Wie viele der Vorbestraften in Florida konnten am Ende tatsächlich wählen? Wie viele Leute haben nicht gewählt, weil es vielerorts systematisch in demokratischen Hochburgen zu wenige Wahllokale gibt und die Leute stundenlang anstehen müssen? Wie viele Leute haben sich einschüchtern lassen oder sind solchen Kampagnen aufgesessen, sie sollten am 4.11. wählen, weil da weniger los ist? Wie viele Briefwahl-Stimmzettel sind nicht oder zu spät angekommen, weil Trump und sein Kumpel Dejoy mit Vorsatz die Briefwahl sabotiert haben? Da wäre ich auf objektive Ergebnisse unabhängiger Untersuchungskommissionen gespannt.
Ich denke, all diese Fragen werden jetzt untersucht und diskutiert werden. Und was sagt das jetzt, wie sollte man an Wahlprognosen herangehen? Auch keine Ahnung so genau. Weil ich nachvollziehbare Methoden mag, bin ich geneigt in den meisten Fällen Umfragen immer noch als die Methode der Wahl zu betrachten. Die haben in der Vergangenheit gut funktioniert, die haben auch in den USA in der Vergangenheit gut funktioniert, jetzt aber in zwei Wahlen ordentliche Bugs aufgewiesen. Vielleicht wird es so eine Art regionale Spezialisierung geben. Wenn Anne Selzer in Iowa gut pollen kann, dann heißt das nicht, dass sie das auch in Missouri gut kann.
Ehrlich gesagt, ich bin auch sehr unentschieden, was andere Methoden angeht. Das läuft ja letztlich immer darauf hinaus, dass man irgendwelche Indikatoren heranzieht und unterstellt, dass die blöden Meinungsforscher zu dämlich sind, das in den Zahlen abzubilden. Klar ist die Zahl der Neuwählerregistrierungen ein Indikator, oder die Zahl der Retweets oder der Yard-Signs oder die Zahl der freiwilligen Helfer, der Spender usw. Aber wie verdichtet man das zu einem gültigen Gesamtbild, das mehr ist als bloßes Bauchgefühl? Es gibt bei Wahlen immer 1000 Indikatoren in beide Richtungen, die sich im Nachhinein anführen lassen, um dann behaupten zu können, ich hab‘s doch die ganze Zeit gewusst. Ich bleibe da skeptisch, muss jetzt aber auch erstmal schauen, wie die die Nachbereitung ausfällt.
Ein Punkt der wohl spannend bleibt, liegt darin, gut informiert zu sein und Entwicklungen früher zu erahnen als der Rest. Vor ein paar Jahren habe ich hier prognostiziert, dass Ted Cruz einer der ernstzunehmenden Kandidaten in der Vorwahl sein wird, einfach weil ich ein bisschen was darüber gelesen hatte, bevor sich irgendjemand dafür interessiert hat. Bei der letzten Wahl in Frankreich habe ich ein paar Mark damit gemacht, dass ich früher kombiniert hatte, dass es auf eine Stichwahl zwischen Macron und LePen hinausläuft, die Macron natürlich gewinnt. Das ist aber natürlich erstens sehr langfristig und ziemlich unsicher – in den USA war ich ja mal lange von O’Rourke überzeugt und Sherrod Brown fand ich auch gut, der dann nichtmal angetreten ist (wäre er mal, das wäre nicht so eine Zitterpartie geworden).
Für mich selbst dürfte das alles allerdings ohnehin ohne Belang sein. Wenn Politikwetten in Deutschland jetzt nicht mehr zulässig sind, dann ist es für mich. Insofern bin ich dann wohl mal raus hier.
Wenn ich es richtig sehe, dann gab es Dienstagnacht auf der Welt, in meinem Umfeld, hier im Forum und zugegebenermaßen auch bei mir ordentliche Irritationen, weil die tatsächlichen Ergebnisse von den Umfragen so stark abgewichen sind. Was heißt das jetzt? Immer auf den Underdog gehen? Umfragen alle Unsinn? Andere Indikatoren nehmen?
Erst einmal: die Umfragen lagen daneben, aber sie lagen viel weniger daneben, als man am Anfang denken konnte.
Joe Biden hat gewonnen. Und genau das war die Vorhersage. Nate Silver hat ihm eine 90%-Chance gegeben, und auch wenn ich mich nicht (allein) auf den verlassen habe, muss man sagen, er hat eben recht gehabt. Biden hat auch die popular vote gewonnen, und zwar mit einem ordentlichen Abstand was die absoluten Zahlen angeht. Am Ende wird es wohl darauf hinauslaufen, dass Biden bei 306 Electoral Votes landet, das ist irgendwo zwischen knapp und okay. Ich habe auch nie auf EVs getippt übrigens, habe Trump aber weniger in der Popular Vote gegeben, s.o.
Wenn man das staatenweise durchgeht, dann haben die Polls vor allem in Florida daneben gelegen, mit Abstrichen auch in Ohio und Iowa. Arizona, Nevada und den mittleren Westen (und alle anderen Staaten) hatten die meisten Pollsters aber in der Tendenz richtig, allerdings meistens nicht in der Marge (zum Teil auf den Punkt richtig, aber meistens nicht). Georgia und North Carolina haben die meisten als Toss Ups gesehen, und das erleben wir gerade, weil da immer noch kein Sieger feststeht. Das ist auch übrigens keine Sache, die sich darauf zurückführen ließe, dass die Pollsters parteiisch wären. Auch und gerade die Pollster haben falsch gelegen, die von den Leuten angeführt werden, die hier im Forum so besonders engagiert diskutieren. Trafalgar, Rasmussen, Pulse, alle bekannt für ihre Nähe zu den Republikanern haben zumeist Michigan, Arizona, Pennsylvania, Georgia falsch zugeordnet. Es gibt also nicht die einen Institute, die immer richtig lagen, und die anderen, die immer falsch waren.
Unter dem Strich hat man mit Polls also richtiger gelegen als mit Würfeln oder Pfeile werfen. Was man ja aber schlicht nicht übersehen kann, ist, dass Trumps Stimmenanteil systematisch unterschätzt wurde. Der Real-Clear-Average lag für die popular vote bei 51,2 zu 44, gegenwärtiger Zwischenstand ist 50,5 zu 47,7. Das dürfte im Laufe der Auszählung für Biden noch ein paar Zehntel hoch und für Trump ein paar Zehntel runter gehen, aber es bleibt ja der Befund, dass die Anteile für Biden relativ gut und die für Trump 3-4% zu niedrig geschätzt wurden – und das gilt mit Abweichungen hie und da fast durchgehend auch auf Staatenebene. Übrigens kleine Nebenbemerkung: Jadonsancho, falls Du hier noch mitliest, ja, Du vermutest richtig, ich habe tatsächlich irgendwannmal irgendwas studiert, aber entgegen Deiner Vermutung dabei auch mal eine Statistikvorlesung gehört. Die in einer Befragung ermittelten Prozentwerte sind ganz normale metrische, in dem Fall ratioskalierte Daten. Und deshalb ist es auch mathematisch vollkommen zulässig die zu mitteln. Und selbst wenn das anders wäre, bliebe es ja eine spannende Information, mehrere Umfragen auf einen Wert zu verdichten.
Wie ist das jetzt zu erklären, dass die Umfragen, so ähnlich wie schon 2016 relativ stark daneben gelegen haben, auch wenn das meistens noch halbwegs innerhalb der Fehlertoleranz liegen dürfte? Das wird ziemlich sicher in den nächsten Wochen, Monaten, Jahren von schlaueren Menschen sehr intensiv diskutiert werden, immerhin hängt die Glaubwürdigkeit und letztlich das wirtschaftliche Überleben der Institute daran, dass sie da eine überzeugende Antwort geben können. Das warte ich mal ab, aber meine paar Cent zum jetzigen Zeitpunkt:
a) Die Umfragen hatten Schwierigkeiten die Dynamik abzubilden. In den Exit-Polls zeigt sich, dass die Late Deciders überwiegend zu Trump geschwenkt sind. Das war bestimmt ein Faktor, erklärt das Phänomen aber nicht in einem Ausmaß wie 2016, meiner Meinung nach.
b) Immer noch bzw. erneut falsche Modelle was die Stichprobenzusammensetzungen angeht? Kann ich so nicht beurteilen, wird man sicher diskutieren.
c) Antwortverweigerungen? Das scheint mir im Augenblick der heißeste Kandidat. Vor ein paar Tagen habe ich da noch gegenargumentiert, als Jadonsancho dieses Argument angebracht, einer von acht Trumpleuten würde sich an Befragungen nicht beteiligen. Mir ist tatsächlich nicht klar, was das bringen soll. Aber da scheint es wohl inzwischen eine grundlegende Skepsis gegenüber allem zu geben, was nicht unmittelbar aus dem eigenen Lager kommt, der Deep State, der Staat, die Medien, was weiß ich. Man muss tatsächlich zur Kenntnis nehmen, dass sich Leute innerhalb relativ kurzer Zeit anscheinend vollkommen von der Realität abzukoppeln. Sieht man ja zum Teil auch bei uns, wo der Wahnsinn ja auch nicht immer nur leise lächelt.
d) Ganz generell scheint ja gerade bei Wahlen mit Trump-Beteiligung der Wurm drin zu sein. 2016 und nun 2020 waren schwache Jahre für die Pollster, 2018 bei den Midterms haben die aber im Großen und Ganzen ganz gut gelegen. Tatsächlich war ich geneigt, den Trump-Siegt sozusagen als Betriebsunfall zu sehen, eine Kette sehr unglücklicher Umstände in einem historisch kuriosen Umfeld, wo dann so eine schräge Figur haarscharf mit 77.000 Stimmen gewinnen konnte. Und diese Haltung schien sich ja zu bestätigen, indem Trump in seinen Zustimmungswerten immer unterirdisch war und vor allem durch die Midterm-Ergebnisse, wo die Demokaten einen Riesen-Erfolg im Repräsentantenhaus hatten, durchaus eine blaue Welle. Das habe nicht nur ich so interpretiert, dass das noch heftiger wird wenn Trump selbst auf dem Wahlzettel steht. Und das Gegenteil ist eingetreten. Mit Trump auf dem Zettel haben die Republikaner viel besser abgeschnitten als 2018 und vor allem, er hat auch das House, den Senat und die Downballot-Wahlen mitgezogen. Senatswahlen die knapp oder zumindest kompetetiv hätten sein sollen, waren es nicht, wie in Maine, Iowa, South Carolina, Kentucky. Woran das liegt? Keine Ahnung. Entweder es liegt unmittelbar an Trump oder es hat sich in den letzten zwei Jahren etwas verändert, die Leute haben sich radikalisiert, noch weiter von der realen Welt gelöst oder es hat schlicht eine solche Gewöhnung an Trump stattgefunden, dass die diese permanente Grenzüberschreitung gar nicht mehr so wahrgenommen haben.
e) Im Augenblick stehen ja noch die Anschuldigungen vonseiten des Trump-Lagers im Vordergrund, bislang völlig ohne Bestätigung. Aber in ein paar Tagen wäre das schon sehr interessant, mal unabhängige Einschätzungen zu bekommen, wie viele Biden-Stimmen denn im Rahmen dieser ganzen Trump-Schweinereien weggefallen sind. Wie viele der Vorbestraften in Florida konnten am Ende tatsächlich wählen? Wie viele Leute haben nicht gewählt, weil es vielerorts systematisch in demokratischen Hochburgen zu wenige Wahllokale gibt und die Leute stundenlang anstehen müssen? Wie viele Leute haben sich einschüchtern lassen oder sind solchen Kampagnen aufgesessen, sie sollten am 4.11. wählen, weil da weniger los ist? Wie viele Briefwahl-Stimmzettel sind nicht oder zu spät angekommen, weil Trump und sein Kumpel Dejoy mit Vorsatz die Briefwahl sabotiert haben? Da wäre ich auf objektive Ergebnisse unabhängiger Untersuchungskommissionen gespannt.
Ich denke, all diese Fragen werden jetzt untersucht und diskutiert werden. Und was sagt das jetzt, wie sollte man an Wahlprognosen herangehen? Auch keine Ahnung so genau. Weil ich nachvollziehbare Methoden mag, bin ich geneigt in den meisten Fällen Umfragen immer noch als die Methode der Wahl zu betrachten. Die haben in der Vergangenheit gut funktioniert, die haben auch in den USA in der Vergangenheit gut funktioniert, jetzt aber in zwei Wahlen ordentliche Bugs aufgewiesen. Vielleicht wird es so eine Art regionale Spezialisierung geben. Wenn Anne Selzer in Iowa gut pollen kann, dann heißt das nicht, dass sie das auch in Missouri gut kann.
Ehrlich gesagt, ich bin auch sehr unentschieden, was andere Methoden angeht. Das läuft ja letztlich immer darauf hinaus, dass man irgendwelche Indikatoren heranzieht und unterstellt, dass die blöden Meinungsforscher zu dämlich sind, das in den Zahlen abzubilden. Klar ist die Zahl der Neuwählerregistrierungen ein Indikator, oder die Zahl der Retweets oder der Yard-Signs oder die Zahl der freiwilligen Helfer, der Spender usw. Aber wie verdichtet man das zu einem gültigen Gesamtbild, das mehr ist als bloßes Bauchgefühl? Es gibt bei Wahlen immer 1000 Indikatoren in beide Richtungen, die sich im Nachhinein anführen lassen, um dann behaupten zu können, ich hab‘s doch die ganze Zeit gewusst. Ich bleibe da skeptisch, muss jetzt aber auch erstmal schauen, wie die die Nachbereitung ausfällt.
Ein Punkt der wohl spannend bleibt, liegt darin, gut informiert zu sein und Entwicklungen früher zu erahnen als der Rest. Vor ein paar Jahren habe ich hier prognostiziert, dass Ted Cruz einer der ernstzunehmenden Kandidaten in der Vorwahl sein wird, einfach weil ich ein bisschen was darüber gelesen hatte, bevor sich irgendjemand dafür interessiert hat. Bei der letzten Wahl in Frankreich habe ich ein paar Mark damit gemacht, dass ich früher kombiniert hatte, dass es auf eine Stichwahl zwischen Macron und LePen hinausläuft, die Macron natürlich gewinnt. Das ist aber natürlich erstens sehr langfristig und ziemlich unsicher – in den USA war ich ja mal lange von O’Rourke überzeugt und Sherrod Brown fand ich auch gut, der dann nichtmal angetreten ist (wäre er mal, das wäre nicht so eine Zitterpartie geworden).
Für mich selbst dürfte das alles allerdings ohnehin ohne Belang sein. Wenn Politikwetten in Deutschland jetzt nicht mehr zulässig sind, dann ist es für mich. Insofern bin ich dann wohl mal raus hier.
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